Den Raum denkend und handelnd erfahren
Entwerfen im Kontext
Entwerfen heißt den physischen und mentalen Raum durch einen schöpferischen Akt zum Schwingen zu bringen. Die Arbeit erreicht dann eine Qualität, wenn es uns gelingt einen Ort zu schaffen, in dem eine befruchtende Wechselbeziehung zwischen dem Verstehen des Vorgefundenen und unserem Handeln entsteht.
Beim gut gelungenen Entwurf ist es nicht so leicht zu erklären, ob der Ausgangspunkt in der sinnlichen und intellektuellen Wahrnehmung des konkreten Ortes lag oder vielmehr von unserer Intention bestimmt wurde. Neutrale Betrachtung oder kreativer bzw. spekulativer Sinn?
Da wir davon ausgehen, dass im guten Entwurf eine Mischung aus beidem steckt, möchten wir uns bei der Semesterarbeit zu einer Art Spontaneität zwischen Denken und Handeln hinreißen lassen.
Das heißt wir wollen die Dinge handelnd und denkend erfahren.
Durch diesen dialektischen Entwicklungsprozess, so hoffen wir, ist eine besondere Nähe zum Ort und seinen Eigenheiten zu gewinnen.
Giovanni Giacometti
Selbstbildnis 1899, Ausschnitt
Orte und Objekte, die uns Geschichten erzählen und unsere Aufmerksamkeit erregen, sind uns bekannt. Wollen wir ihre Botschaft baulich vermitteln oder verstärken, so wirkt das Ergebnis dann am stärksten, wenn eine Annäherung an die Entstehungszeit und an die ehemalige gesellschaftliche Bedeutung des vorgefundenen Objektes gelingt. Das geschieht vor allem durch die Wahrnehmung der baulichen Mittel, durch das Eingehen auf ihre Präsenz. Diese vermitteln uns verknüpfte Produktionsprozesse, die vor allem im Material, im sichtbaren und unsichtbaren Wissen und in kulturellen Bedeutungen ihren Ausdruck finden. Ein solcher Zustand erwirkt Dauerhaftigkeit und Zeitlosigkeit.
Das starke Objekt strahlt Präsenz aus. Präsenz bedeutet produzierte Nähe. Nähe zu den Ereignissen die an einem Ort stattgefunden haben und stattfinden sollen. Ein solcher Zustand erwirkt für den Betrachter so etwas wie eine Umkehrung des Bildes. Er wird quasi zum passiven Element. Die Dinge schauen ihn an. Auch dies besitzt etwas Zeitloses.
Um im Entwurfsprozess diese Nähe zu gewinnen, wird paradoxerweise Distanz gefordert. Distanz zu unseren Erfahrungen, zu unseren Vorlieben und Vorbehalten. Die größtmögliche Nähe zum Stoff aus dem der Entwurf für den besonderen Ort gemacht wird, zum Material und zur Konstruktion, ist das erklärte Ziel des Semesters.
Jeder Studierende bearbeitet in der Gemeinde Vals einen spezifischen Ort. Zu planen ist ein Gebäude mit einer einfachen vorgegebenen Nutzung. Die Form, die Konstruktion und das Material werden aus dem Kontext bestimmt.
Das Ziel ist eine Stärkung des jeweiligen Ortes. Dabei werden Nähe und Distanz zum Vorgefundenen und zu unserer gegenwärtigen Wirklichkeit ein wichtiges Thema sein. Die Dialektik aus der Kontemplation und dem Denken ist das Spannungsverhältnis, mit dem wir uns auseinandersetzen werden.
Aus den Erkenntnissen des Entwurfsprozesses sind zudem allgemeingültige Richtlinien zu gewinnen, die den Umgang mit jedem der zu untersuchenden Orte beschreiben. Es ist die Forschung an einem anderen Lenkungsinstrumentarium als Beilage oder Ersatz zum örtlichen Baugesetz. Diese Verhaltensregeln sollen so fixiert sein, dass einerseits genügend Spielraum offen bleibt und es andererseits zu jener Einschränkung kommt, die einem Ort seine Spezifität sichert und, wenn möglich, verstärkt. Atmosphärische Kraft und Differenz zu anderen Orten steht im Vordergrund.
Die praktische Vernunft – nur durch eine solche ist eine allgemeingültige Aussage möglich – soll handelnd aus dem Entwurfsprozess gewonnen werden. Wir glauben, dass der wahrgenommene, der konzipierte und der erlebte Raum niemals nur individuell sondern auch immer zutiefst gesellschaftlich sind.
Arbeitsort: Atelier Gisel, Streulistrasse 74a, 8032 Zürich
Assistent: Thomas Stettler
Anzahl Studierende: 10
Aufgabentyp: O/I
Einführung: Mittwoch, 17. September 2008, 10:00 Atelier Gisel
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