ORTE SCHAFFEN
Orte schaffen ist ein Projekt für den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Handwerk, Architektur und anderen Disziplinen. Die Kernidee besteht darin, Räume zu schaffen, die einen unmittelbaren Bezug zu ihren Bewohnern haben. Wir vertreten die Überzeugung, dass der Mensch erst aus dem Überschaubaren heraus fähig und bereit ist, wirksame Motivationen zu entwickeln und schlussendlich Verantwortung für den eigenen Ort und für die Umwelt zu übernehmen. Dabei sind wir uns bewusst, dass dieses Überschaubare nicht für alle Aspekte der menschlichen Existenz in dieser Welt steht. Das Projekt Orte schaffen will an spezifischen Themen forschen, die uns bewegen und die als verantwortlich für die Vernichtung von Differenzen und kultureller Vielfalt betrachtet werden. Die Kooperation zwischen Forschern, Spezialisten aus den verschiedensten Fachgebieten, Lehrern und Studierenden, Planern und Entscheidungsträgern wird gesucht und soll möglichst konkret und praxisorientiert sein.
ORTE SCHAFFEN VI | FS 12
Die Konstruktion und ihre Gesetzmässigkeit
In Zusammenarbeit mit der Professur für Tragwerksentwurf, Prof. Dr. Joseph Schwartz
Als der Mensch sesshaft wurde und für sich eine Hütte baute fing das Konstruieren am Ort an. In dieser ersten Stufe höherer Lebensentfaltung schaffte er aus dem verfügbaren Material eine Grenze zwischen dem Innen und Aussen. Dieser vorerst zweckhafte Ausschluss von der Umwelt nahm in der Entwicklung der Kultur fortlaufend neue Formen an.
Mit der Ausdifferenzierung der menschlichen Behausung ging auch ein sich verändernder Diskurs über diese einher. Die stillschweigende Selbstverständlichkeit, mit dem vor Ort gefundenen Material die schützende Behausung zu errichten, wich einem Diskurs zwischen verschiedenartigen Kräften. Was «Architektur» sei, entschied jede Epoche zu einem gewissen Grad für sich. Gleiches gilt für die Frage nach der «Konstruktion». Die Entscheidung, eine tragende Schicht zu zeigen oder doch zu verkleiden, lässt sich nicht unabhängig von ihrer Zeit erklären. In vielen Fällen verfehlt die Frage den Kern jener Architektur. Viele Architekturen kennen die Frage nach «Verkleidung» oder einer «konstruktiven Wahrheit» nicht und die Unterscheidung zwischen Ornament und Konstruktion ist ihnen fremd. Nach ihnen zu fragen, verrät vielmehr den eigenen zeitlichen Standpunkt als eine vermeintlich gestalterische Absicht.
In diesem Sinn sind wir überzeugt, dass ein frischer Blick auf die Baugeschichte, mit dem Versuch einige eingefahrene Unterscheidungen zurückzulassen, den Weg freimachen könnte für andere Ansätze – abseits von bekannten Bildern, Konzepten und Methoden. Konstruktion war an ihren Extremen vielfach viel mehr als blosses Tragen und in vielen Fällen nichts mehr als dies. Beide Haltungen brachten Architekturen von höchster Faszination hervor. Ganz eigene, von der Natur ausgenommenen «Welten» wie auch Räume, die selbstverständlich das Aussen mit dem Innen zu verschmelzen suchten.
Beim Projekt «Orte schaffen», das sich aufspannt zwischen dem Bauen als Konstruktion und Handwerk soll die spezifische Haltung sowohl aus dem physischen wie dem kulturellen Kontext gewonnen werden. Vorlieben und Vorurteile gegenüber bekannten und verbreiteten Konstruktionen bleiben im Hintergrund. Gefordert ist vorerst eine Art der Urteilsenthaltung. Ohne diese findet die konkrete Auseinandersetzung mit dem Ort nicht statt. Die Maxime von «Orte schaffen» besteht darin, die Wesensart eines Kontextes zu erkennen und diese mit unserem Eingriff zu stärken. Das bedeutet keinesfalls, dass wir dem einzelnen Objekt nicht eine hohe Beachtung zumessen würden. Jeder starke Kontext besteht aus Objekten von hoher Präsenz, zugleich aus solchen von anonymer Erscheinung. Aus der Summe dieser Differenzen entsteht Hierarchie. Die Hierarchie ist für das Verstehen, für die Funktion des Ortes seiner Lebensform von grosser Wichtigkeit. Das Sehen und Erhalten einer kontextualen Verbindung zwischen Objekten macht aus ihnen mehr als nur bedeutende ästhetische Momente. Architektur kann nicht wie ein Bild betrachtet werden – sie muss erlebt werden.
Der Wissenschaftstheoretiker Stephen Toulmin verfolgt in seinem Buch «Kosmopolis», in dem er den Vorschlag macht, sich dem Mündlichen, dem Besonderen, dem Lokalen und dem Zeitgebundenen zuzuwenden, eine Absicht, die Distanz zu den tatsächlichen Dingen zu reduzieren. Er ruft auf zum Widerstand gegen den Zeitgeist. Das Kosmopolitische versteht sich als ein Konzentrat des Ortsspezifischen, jedoch mit einer Weitsicht auf die Welt; das Kosmopolitische versteht sich als etwas anderes als das Globale.
Unser Ansatz zielt in einer ähnlichen Richtung wie derjenige von Toulmin. Wir wollen Nähe gewinnen, zum Ort, zu seinen Besonderheiten und zu den Möglichkeiten die sich daraus ergeben. Ein Ort gründet sowohl auf dem dortigen Bestand wie auf dem Abwesendem, das sinnvoll zugeführt werden kann und Vorteile verspricht.
Wir wollen aus klugen Konstruktionen auswählen oder solche entwickeln. Klug sein heisst die richtige Wahl treffen. Die grosse Herausforderung in diesem Prozess besteht darin, Tragwerke aus den Materialeigenschaften zu gewinnen und diese nicht von angelernten statischen Systemen abzuleiten. Zu finden sind Konstruktionen von statischer Vernunft und zugleich solche von instinktiver, poetischer Ausdrucksform. Bei der Wahl der Konstruktion und ihrer Umhüllung, kommt der Beachtung der klimatischen Bedingungen des Lokalen eine wichtige Bedeutung zu. Angestrebt wird eine Gleichzeitigkeit des Entwerfens aus Konstruktion und Form. Das Eine soll das Andere bedingen und beeinflussen.
Im FS 2012 interessiert uns vor allem die Ausdruckskraft, die sich von der Konstruktion auf den Kontext überträgt. Jede Konstruktion birgt in sich ihre eigene Gesetzmässigkeit. Diese Gesetzmässigkeit sollen die Studierenden im Vorfeld der Projektentwicklung mittels Analyse erforschen, erkennen und schliesslich auch als Grenze bewusst annehmen.
Im konkreten Entwurfsfall soll die gewählte Konstruktion auch so betrachtet werden, dass die ihr innewohnenden Regeln als Ersatz für die oft bloss zitathaften Bau- und Gestaltungsvorschriften des Ortes fungieren könnten. Das Material und die sich daraus entwickelnde Konstruktion bestimmen den Ausdruck und weniger formale oder historische Adaptierungen.
Zu entwerfen sind Wohnhaustypologien für ausgesuchte Kontexte. Auch diesmal soll die Konstruktionsart aus dem soziokulturellen Umfeld gewonnen werden. Das Bauen und die mit ihm angepeilte Stärkung von Orten ist in diesem Zusammenhang zugleich die Produktion von Kultur.
Wir werden auch über mögliche Vorgehensweisen zur Entwicklung von Kultur in der Architektur diskutieren und versuchen, solche zu beschreiben. Vermittelt werden soll weniger eine bestimmte Methode als vielmehr Wege zur Stärkung der Autonomie des einzelnen Studierenden.
Arbeitsort: Atelier Gisel, Streulistrasse 74a, 8032 Zürich
Anzahl Studierende: 14
Aufgabentyp: Entwurf mit integrierter Disziplin Konstruktion bzw. Tragwerksentwurf
Einführung: Dienstag, 21. Februar 2012, 10:00 im Atelier Gisel
Der Entwurf wird in enger Zusammenarbeit mit der Professur für Tragwerksentwurf, Prof. Dr. Joseph Schwartz, entwickelt.
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