2017 Frühjahrssemester

ORTE SCHAFFEN

ist ein Projekt für den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Handwerk, Architektur und anderen Disziplinen. Die Kernidee besteht darin, Räume zu schaffen, die einen unmittelbaren Bezug zu ihren Bewohnern haben. Wir vertreten die Überzeugung, dass der Mensch erst aus dem Überschaubaren heraus fähig und bereit ist, wirksame Motivationen zu entwickeln und schlussendlich Verantwortung für den eigenen Ort und für die Umwelt zu übernehmen. Dabei sind wir uns bewusst, dass dieses Überschaubare nicht für alle Aspekte der menschlichen Existenz in dieser Welt steht. Das Projekt Orte schaffen will an spezifischen Themen forschen, die uns bewegen und die als verantwortlich für die Vernichtung von Differenzen und kultureller Vielfalt betrachtet werden. Die Kooperation zwischen Forschern, Spezialisten aus den verschiedensten Fachgebieten, Lehrern und Studierenden, Planern und Entscheidungsträgern wird gesucht und soll möglichst konkret und praxisorientiert sein.

ORTE SCHAFFEN XVI | FS 17

Der Kern von Malans

Malans ist ein Dorf mit einem geschichtsträchtigen Kern, mit Baum- und Weingärten, die bis in den Dorfkern reichen. Malans ist aber auch – vor allem in den neuen Quartieren – ein Dorf der Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen. Im Gegensatz zu vielen Dörfern, in denen die Ganzheit von Wohn- und Arbeitsort durch die Auslagerung der Landwirtschaft verschwunden ist, ist in Malans ein grosser Teil der Produktion erhalten. Die Reben wachsen weiterhin im Dorf und werden hier in den Torkeln zu Wein verarbeitet. Diese Entwicklung wurde in den 1980er Jahren durch den Widerstand der Bürger gegen das Profitdenken ermöglicht. Damit zeigt Malans exemplarisch, dass durch einen Willen, der nicht dem Zufall verfällt und der nicht vor Trends niederkniet, besondere Orte entstehen können.

Ausserordentlich ist in Malans die Vielfalt der Bauten mit ihren nicht selten eigensinnigen Volumen. Kleine und grosse, repräsentative und bescheidene, private und öffentliche Bauten, Stein- und Strickhäuser stehen nebeneinander. Diese eindrückliche Variation ist nicht nur eine Entwicklung von innen heraus. Sie wurde vor allem von aussen zugetragen. Malans war bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts ein überregional bedeutender Marktplatz. Ein Teil des Warentransports über die Bündner Pässe führte durch das Dorf nach Süden – über den Dorfplatz, der Aufenthalts- und Umschlagplatz zugleich war. Die Malanser betrieben Handel und konnten neue Wohn- und Geschäftshäuser bauen.

Einen prägenden Ausdruck für die Dorfstruktur von Malans haben die Ensembles. Im Ensemble stehen die einzelnen Bauten in einer Wechselbeziehung. Vor allem bei den landwirtschaftlichen Hofeinheiten sind diese Zusammenhänge gut erkennbar. Der Mensch, das Objekt und das Geschehen sind im Ensemble nicht unabhängige Entitäten, gemeinsam bilden sie einen dichten Wirkungszusammenhang, der sich im Prozess der Kultur mit Bedeutungen anreichert. Im letzten Semester haben wir uns mit diesen Bedeutungen und Bedeutungszusammenhängen beschäftigt. An einem spezifischen Ensemble haben wir die vorhandenen Beziehungsgeflechte zu verstärken versucht. Nun wenden wir uns dem Ortskern von Malans zu.

Das Gemeinsame der Ensembles ist ihre Abgeschlossenheit. Anders im Zentrum des Dorfes – in diesem öffentlichen Raum ist alles im Fluss. Die wichtigsten Stellen sind mehreren Bezugssystemen zugeordnet. Das macht sie zu bedeutenden Orten im öffentlichen Raum. Die politischen Entscheidungen werden heute nicht mehr auf dem Dorfplatz gefällt und seine soziale Bedeutung hat an Relevanz verloren, trotzdem bleibt die Mitte ein starker und anziehender Ort. Dieser Ort gehört allen. Die Präsenz des Kernes wollen wir verstärken. Die Topographie und ihre Bodenbeschaffenheit, der Strassenraum, Grenzen und Übergänge, die Bauten und ihre Nutzungen sind die Entitäten dieses wichtigen Ereignisraumes im Dorf. Wir bilden Plätze, bauen um und entwerfen Neues.

Im letzten Semester haben wir ein bestimmtes Vorgehen im Entwurfsprozess versucht, indem wir uns verstärkt der Wirklichkeit des Ortes zugewandt haben. Wir haben viel Zeit aufgewendet um das Wesen des Ortes zu verstehen. Sein offensichtliches und sein verborgenes Wesen wollten wir mit Sinn und Verstand ergründen. Fachleute aus verschie- denen Bereichen sowie die Bewohner des Ortes haben uns dabei unterstützt. An dieser Methode wollen wir festhalten. Wir wollen Malans mit einem Phänomenologen, mit der kulturellen Erfahrung der Einheimischen, sowie mit dem Einbezug einer Aussensicht auf den Ort erfahren.

Die Entwurfsarbeiten aus dem letzten Semester werden in Malans gezeigt und öffentlich diskutiert. Wir suchen bewusst diesen Diskurs, weil wir glauben, dass kulturell bedeutende Orte nur unter dem Einbezug der Realitäten des Alltags möglich sind. Das bedeutet aber kei- neswegs, dass der Architektur weniger Relevanz zukommt. Es muss mit der jeweiligen Idee gelingen, der Möglichkeit eines gemeinsamen Handelns Ausdruck zu geben. Dieses Gemeinsame vermag die Formen aufeinander auszurichten und tritt damit an die Stelle jener Bedingungen, die ehemals gegeben waren und zu diesen eigenständigen Orten führten. Das Gemeinsame gibt es nicht – es ist im gesellschaftlichen Dialog immer wieder zu finden. Es zu finden bedeutet, im gemeinsamen Gespräch zur Erkenntnis zu gelangen. Wir glauben, dass auch in der heutigen Zeit, unverwechselbare und identitätsstiftende Orte entstehen können.

Die Präsentation und Diskussion der Arbeiten aus dem Herbstsemester 2016 findet am 17. Februar 2017 in Malans statt.

Arbeitsort: Atelier Gisel, Streulistrasse 74a, 8032 Zürich 
Assistenten: Lorenz Jaisli, Timon Reichle, Franziska Wittmann
Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Dr. Josef Perger 
Anzahl Studierende: 16 
Unterrichtssprache: Deutsch 
Arbeitsweise: Einzelarbeit 
Aufgabentyp: Entwurf (LV 051-1102-17, 13KP)
Einführung: Dienstag, 21. Februar 2017, 10.00 Uhr in Malans.
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