2013 Frühjahrssemester

ORTE SCHAFFEN
ist ein Projekt für den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Handwerk, Architektur und anderen Disziplinen. Die Kernidee besteht darin, Räume zu schaffen, die einen unmittelbaren Bezug zu ihren Bewohnern haben. Wir vertreten die Überzeugung, dass der Mensch erst aus dem Überschaubaren heraus fähig und bereit ist, wirksame Motivationen zu entwickeln und schlussendlich Verantwortung für den eigenen Ort und für die Umwelt zu übernehmen. Dabei sind wir uns bewusst, dass dieses Überschaubare nicht für alle Aspekte der menschlichen Existenz in dieser Welt steht. Das Projekt Orte schaffen will an spezifischen Themen forschen, die uns bewegen und die als verantwortlich für die Vernichtung von Differenzen und kultureller Vielfalt betrachtet werden. Die Kooperation zwischen Forschern, Spezialisten aus den verschiedensten Fachgebieten, Lehrern und Studierenden, Planern und Entscheidungsträgern wird gesucht und soll möglichst konkret und praxisorientiert sein.

Das Adulamassiv gehört zu den grössten Gebieten der Schweiz ohne bedeutende menschliche Eingriffe. Die Hochebene Greina bildet die Kernzone dieses über 1000 km2 grossen Landschaftsraumes. Hier soll der grösste Nationalpark der Schweiz entstehen. Die Initianten hoffen auf einen Lebensraum, in dem der Mensch im Einklang mit der Natur lebt und arbeitet.

Die Schweizer Politik leistet seit Jahrzehnten mit Subventionen und Transferleistungen einen wesentlichen Beitrag zur Besiedlungserhaltung im Alpenraum. Aus der Sicht des ETH-Studio Basel eröffnet dieses Modell der Bestandserhaltung keine Perspektiven für die zukünftigen Generationen. Der Vormarsch der Wildnis hingegen wird als das Potenzial der «Alpinen Brache» erklärt. In dieser urbanen Strategie sollen Kontraste verstärkt und fruchtbar gemacht werden. Andere Sichten auf den Alpenraum betrachten die «intakte» Natur als die allerwichtigste Ressource für den Tourismus. In Form von Naturpärken soll die Wildnis eine zivilisiertere Erscheinung bekommen. Einen wiederum anderen Grundansatz verfolgt die Internationale Alpenschutzkommission. Mit der Schaffung einer Makroregion «Alpen» soll das politische Gewicht zunehmen. Damit verbunden ist die Hoffnung, gemeinsamen Problemen und Potenzialen wirksamer als bisher begegnen zu können.

Gewisse Ansätze zielen auf Erneuerung, bei anderen scheint das Aufrechterhalten bestehender Systeme im Vordergrund zu stehen. Eines haben sie jedoch gemeinsam: sie fügen sich den unmittelbaren ökonomischen Zwängen der Zeit. Wenn man die Bedingungen des herrschenden Systems akzeptiert, gelangt man zum Schluss, dass der Alpenraum aus eigener Kraft die ökonomischen Grundlagen nicht schaffen kann, die für eine unabhängige Existenz notwendig sind. Der Berg produziert nicht genug.

Wir möchten bei unseren Recherchen zur möglichen Gestalt eines zukünftigen Lebensraumes «Adula» andere Vorstellungen einbringen und uns von gegebenen Zwängen lösen. Es ist uns bewusst, dass es einen idealen Lösungsansatz kaum geben wird, der alle Probleme löst und keine weiteren verursacht. Dennoch sind wird fest der Überzeugung, dass durch eine offene Wahrnehmung sich Entscheidendes verändern kann. Am Horizont deutet sich eine neue Art des Zugangs an. Dafür braucht es neue Weichenstellungen:

Wir glauben, dass eine erfolgreiche Ökonomie nichts anderes ist als ein Verbund starker Interessen, die ein vernetztes und im Idealfall gemeinschaftliches Handeln zur Folge haben. Interessen sind stets gewählte Interessen und als solche veränderbar. 

Mit Blick auf die Landschaft ist eine Auflösung der Trennung von Natur und Kultur anzustreben; sie soll bewirken, dass die Natur weniger als Ware gehandelt wird und als Ressource einen anderen Stellenwert bekommt. 

Die zugehörige Landwirtschaft ist neben der Produktion von qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln auch als ein Erfahrungsraum für das Begreifen von Interaktionsprozessen mit der Natur zu sehen. 

Im Rahmen des Tourismus muss es gelingen, die Bedürfnisse der sehr unterschiedlichen Partner zu befriedigen, ohne beiderseits den Verlust an Autonomie in Kauf nehmen zu müssen. Damit liesse sich die Spannung aufrechterhalten, die für den Tourismus unverzichtbar ist. 

Eine differenzierte Raumplanung und die daraus folgende Entwicklung erweitern psychisch den Landschaftsraum. Dadurch wird Vielfalt und Spannung erhalten und erzeugt.

Im architektonischen Entwurf haben neben Konstanten wie Raum, Topographie, Material und Konstruktion auch Phänomene wie Emotion, Ereignis und Zufall eine gleichwertige Bedeutung. 

Getragen von solchen Überlegungen und Beweggründen möchten wir uns während längerer Zeit mit der Schaffung eines Lebensraumes «Adula» befassen. In der skizzierten, etwas utopisch klingenden Herangehensweise soll durch Unabhängigkeit, Rationalität, Klugheit, Eigensinn und Differenziertheit die Möglichkeit eröffnet werden, Toleranz zu lernen und Grenzen zu spüren – beides in einem Prozess der Stärkung der eigenen Autonomie.

Dabei wollen wir Nähe gewinnen zu den Dingen, die einen Lebensraum lebensfähig machen. Auch wenn wir einige der vorgeschlagenen Lenkungsmassnahmen seitens verschiedener Verfasser bejahen und manche gar als unerlässlich erachten, sind wir der Überzeugung, dass vor allem in der Bildung und in der Stärkung der Wahrnehmung ein grosses Potenzial für eine andere Zukunft schlummert. Was vor unseren Augen liegt, interessiert uns genauso wie das, wohin es sich wandeln könnte.

Diese Forschungsarbeiten sollen von Professuren und Fachleuten aus verschiedenen Gebieten, von Studierenden, von der Politik, von Institutionen und von Bewohnern des Alpenraumes getragen werden. An unserem Lehrstuhl im Atelier Gisel werden periodisch Veranstaltungen stattfinden, deren oberste Maxime es ist, das Andersartige zum Wert für alle werden zu lassen. Wir glauben an die grosse, tragende Idee. 

ORTE SCHAFFEN VIII | FS 13

Hotel Lumnezia
Idee, aus Sprache und Bild

Im Zentrum des Herbstsemesters 2012 stand die Suche nach angemessenen Übernachtungsmöglichkeiten in den Ausgangspunkten zum Adula. Unser Augenmerk lag dabei auf dem Wechselspiel zwischen dem Gast, der vorgefundenen Kultur und der Landschaft. Nun wollen wir ein Hotel im Zentrum des Val Lumnezia entwerfen. Das sich neu zu einer Gemeinde zusammengeschlossene Tal liegt am Fusse des Parc Adula.

Für die Entwicklung der Idee des neuen Hotels wollen wir zuerst einmal die ganze Aufmerksamkeit nach innen richten. Wir gehen den soziokulturellen Kräften in der Talschaft nach und stellen die Frage nach möglichen Mehrwerten, die daraus zu erzielen sind. Wir teilen die Überzeugung, dass ein sinnvolles Supplement sich dann einstellt, wenn es gelingt, die Gegebenheiten des Tales in einer neuartigen Struktur so zu verknüpfen, dass ökonomische, soziale und kulturelle Werte entstehen. Dabei denken wir an die Nutzbarmachung landwirtschaftlicher Produkte, an die Schaffung von kulturell genutzten Gemeinschaftsräumen bis hin zur aktiven Einbindung handwerklicher Potentiale der Region in die bauliche Realisierung. 

Das angestrebte Mehr entsteht dann, wenn es gelingt, das lokale Interesse zu steigern. Dieses Interesse soll innerhalb des Prozesses zu Sinnfindung und letztendlich zu mehr Verantwortung für den Lebensraum führen. In einem solchen Prozess ist ein hohes Verständnis für kulturelle und politische Anliegen eine Bedingung und die Verstärkung von Netzwerken ein wichtiges Ziel. Von solchen Netzwerken sollen die Einheimischen wie die Gäste profitieren. Die Forderung «Der Gast ist König wie der Einheimische selbst» soll zu einem Kulturraum von hoher Autonomie führen. In dieser Vorstellung findet die «kulturelle Kongestion Tourismus» eine Auflösung. Anders als im häufig zu beobachtenden Fall wird die zu tätigende Investition nicht Selbstzweck bleiben oder nur kurzfristig die Beschäftigung im Bausektor aufrechterhalten. 

Am Anfang der entwerferischen Arbeit steht die Ideenfindung. Für ihre Vermittlung bedienen wir uns der Sprache und des Bildes. In einem zu führenden Dialog wollen wir das Gemeinsame spüren, das unsere verschiedenen Auffassungen und kulturellen Unterschiede verbindet, um daraus eine Option für das Hotel Lumnezia zu entwickeln. In einem Text wird der Versuch unternommen, das Wesentliche zu begreifen und die Idee herauszuarbeiten.

Eine andere Spur zur Ideenfindung führt direkt über Bilder. Hier darf nicht das gefällige oder «interessante» Bild am Ausgangspunkt des Entwurfes stehen. Jedoch könnte ein bewusster Abstand zu ihnen oder auch ihr kritisches Hinterfragen – positiv gewendet – zu einem eigenen, das Projekt lenkenden Bild führen. Bei diesem Bild käme es einerseits auf eine hohe Präzision in der Darstellung der Richtung an, in die das Projekt gehen soll und andererseits auf eine gewisse Offenheit in der Festlegung einzelner Schritte. Es könnte die Rolle einer Metapher haben, die den entscheidenden Punkt genau trifft und zugleich Handlungs- und Bedeutungsspielräume offen hält. 

Für beide Wege glauben wir daran, dass starke und eigenständige Ideen durch die Wachheit von Auge und Geist zu finden sind. Ideen, die an unserer Kultur weiterweben und die mit einem (Orts-)Bezug zu interessanten, tragfähigen Lebensräumen führen. Die bedingte Verfügbarkeit von Baumaterialien und die beschränkten Techniken haben zu stabilen Kulturen und Räumen geführt. Die positiven Effekte solcher Begrenztheit kann man unter heutigen Bedingungen nicht erzwingen. Wir glauben jedoch fest daran, dass kulturelle Prozesse in eine ähnliche Richtung führen können – hin zu starken Ideen, die Identitäten neu entfalten und zugleich möglichst vielen Beteiligten einen Vorteil bringen.

Mit beigezogenen Experten werden wir vor dem Entwurfsbeginn die Sprache und das Bild, die zur Idee führen sollen, gemeinsam und kritisch diskutieren.

Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Dr. Josef Perger 

Arbeitsort: Atelier Gisel, Streulistrasse 74a, 8032 Zürich 
Anzahl Studierende: 16 
Unterrichtssprache: Deutsch 
Arbeitsweise: Einzelarbeit 
Aufgabentyp: Entwurf (LV 051-1102-13, 13KP)
Einführung: Dienstag, 19. Februar 2013, 10.00 im Atelier Gisel
Diskussionsveranstaltung: Discuors Adula II im Atelier Gisel 

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