2012 Herbstsemester

ORTE SCHAFFEN
ist ein Projekt für den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Handwerk, Architektur und anderen Disziplinen. Die Kernidee besteht darin, Räume zu schaffen, die einen unmittelbaren Bezug zu ihren Bewohnern haben. Wir vertreten die Überzeugung, dass der Mensch erst aus dem Überschaubaren heraus fähig und bereit ist, wirksame Motivationen zu entwickeln und schlussendlich Verantwortung für den eigenen Ort und für die Umwelt zu übernehmen. Dabei sind wir uns bewusst, dass dieses Überschaubare nicht für alle Aspekte der menschlichen Existenz in dieser Welt steht. Das Projekt Orte schaffen will an spezifischen Themen forschen, die uns bewegen und die als verantwortlich für die Vernichtung von Differenzen und kultureller Vielfalt betrachtet werden. Die Kooperation zwischen Forschern, Spezialisten aus den verschiedensten Fachgebieten, Lehrern und Studierenden, Planern und Entscheidungsträgern wird gesucht und soll möglichst konkret und praxisorientiert sein.

Das Adulamassiv gehört zu den grössten Gebieten der Schweiz ohne bedeutende menschliche Eingriffe. Die Hochebene Greina bildet die Kernzone dieses über 1000 km2 grossen Landschaftsraumes. Hier soll der grösste Nationalpark der Schweiz entstehen. Die Initianten hoffen auf einen Lebensraum, in dem der Mensch im Einklang mit der Natur lebt und arbeitet.

Die Schweizer Politik leistet seit Jahrzehnten mit Subventionen und Transferleistungen einen wesentlichen Beitrag zur Besiedlungserhaltung im Alpenraum. Aus der Sicht des ETH-Studio Basel eröffnet dieses Modell der Bestandserhaltung keine Perspektiven für die zukünftigen Generationen. Der Vormarsch der Wildnis hingegen wird als das Potenzial der «Alpinen Brache» erklärt. In dieser urbanen Strategie sollen Kontraste verstärkt und fruchtbar gemacht werden. Andere Sichten auf den Alpenraum betrachten die «intakte» Natur als die allerwichtigste Ressource für den Tourismus. In Form von Naturpärken soll die Wildnis eine zivilisiertere Erscheinung bekommen. Einen wiederum anderen Grundansatz verfolgt die Internationale Alpenschutzkommission. Mit der Schaffung einer Makroregion «Alpen» soll das politische Gewicht zunehmen. Damit verbunden ist die Hoffnung, gemeinsamen Problemen und Potenzialen wirksamer als bisher begegnen zu können.

Gewisse Ansätze zielen auf Erneuerung, bei anderen scheint das Aufrechterhalten bestehender Systeme im Vordergrund zu stehen. Eines haben sie jedoch gemeinsam: sie fügen sich den unmittelbaren ökonomischen Zwängen der Zeit. Wenn man die Bedingungen des herrschenden Systems akzeptiert, gelangt man zum Schluss, dass der Alpenraum aus eigener Kraft die ökonomischen Grundlagen nicht schaffen kann, die für eine unabhängige Existenz notwendig sind. Der Berg produziert nicht genug.

Wir möchten bei unseren Recherchen zur möglichen Gestalt eines zukünftigen Lebensraumes «Adula» andere Vorstellungen einbringen und uns von gegebenen Zwängen lösen. Es ist uns bewusst, dass es einen idealen Lösungsansatz kaum geben wird, der alle Probleme löst und keine weiteren verursacht. Dennoch sind wird fest der Überzeugung, dass durch eine offene Wahrnehmung sich Entscheidendes verändern kann. Am Horizont deutet sich eine neue Art des Zugangs an. Dafür braucht es neue Weichenstellungen:

Wir glauben, dass eine erfolgreiche Ökonomie nichts anderes ist als ein Verbund starker Interessen, die ein vernetztes und im Idealfall gemeinschaftliches Handeln zur Folge haben. Interessen sind stets gewählte Interessen und als solche veränderbar. 

Mit Blick auf die Landschaft ist eine Auflösung der Trennung von Natur und Kultur anzustreben; sie soll bewirken, dass die Natur weniger als Ware gehandelt wird und als Ressource einen anderen Stellenwert bekommt. 

Die zugehörige Landwirtschaft ist neben der Produktion von qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln auch als ein Erfahrungsraum für das Begreifen von Interaktionsprozessen mit der Natur zu sehen. 

Im Rahmen des Tourismus muss es gelingen, die Bedürfnisse der sehr unterschiedlichen Partner zu befriedigen, ohne beiderseits den Verlust an Autonomie in Kauf nehmen zu müssen. Damit liesse sich die Spannung aufrechterhalten, die für den Tourismus unverzichtbar ist. 

Eine differenzierte Raumplanung und die daraus folgende Entwicklung erweitern psychisch den Landschaftsraum. Dadurch wird Vielfalt und Spannung erhalten und erzeugt.

Im architektonischen Entwurf haben neben Konstanten wie Raum, Topographie, Material und Konstruktion auch Phänomene wie Emotion, Ereignis und Zufall eine gleichwertige Bedeutung. 

Getragen von solchen Überlegungen und Beweggründen möchten wir uns während längerer Zeit mit der Schaffung eines Lebensraumes «Adula» befassen. In der skizzierten, etwas utopisch klingenden Herangehensweise soll durch Unabhängigkeit, Rationalität, Klugheit, Eigensinn und Differenziertheit die Möglichkeit eröffnet werden, Toleranz zu lernen und Grenzen zu spüren – beides in einem Prozess der Stärkung der eigenen Autonomie.

Dabei wollen wir Nähe gewinnen zu den Dingen, die einen Lebensraum lebensfähig machen. Auch wenn wir einige der vorgeschlagenen Lenkungsmassnahmen seitens verschiedener Verfasser bejahen und manche gar als unerlässlich erachten, sind wir der Überzeugung, dass vor allem in der Bildung und in der Stärkung der Wahrnehmung ein grosses Potenzial für eine andere Zukunft schlummert. Was vor unseren Augen liegt, interessiert uns genauso wie das, wohin es sich wandeln könnte.

Diese Forschungsarbeiten sollen von Professuren und Fachleuten aus verschiedenen Gebieten, von Studierenden, von der Politik, von Institutionen und von Bewohnern des Alpenraumes getragen werden. An unserem Lehrstuhl im Atelier Gisel werden periodisch Veranstaltungen stattfinden, deren oberste Maxime es ist, das Andersartige zum Wert für alle werden zu lassen. Wir glauben an die grosse, tragende Idee. 

ORTE SCHAFFEN VII | HS 12

Albiert / Albergo
Übernachten im Adula

Die Architekturstudierenden sollen sich mit ihren Entwürfen langsam der Komplexität des Territoriums annähern. Ihre Arbeiten sind als Steine für ein Ganzes zu betrachten. Im Mittelpunkt des Herbstsemesters 2012 steht die Suche nach den angemessenen Bauten für das Übernachten. Angemessenheit bedeutet Haustypen schaffen, die in einer Beziehung zwischen dem Gast, der jeweiligen Kultur und der Landschaft stehen und solche Beziehungen fördern. Die ausgewählten Standorte befinden sich an den Ausgangpunkten zum Adula und sind von unterschiedlichen Baukulturen geprägt. Eine der Hauptherausforderungen besteht darin, das Spezifische und das Gemeinsame in diesen Situationen zu erfassen, um daraus zu einem Dialog der verschiedenen Kulturen zu führen.

Arbeitsort: Atelier Gisel, Streulistrasse 74a, 8032 Zürich 
Anzahl Studierende: 14 
Aufgabentyp: Entwurf (LV 051-1101-12L, 13KP) mit integrierter Disziplin Konstruktion (LV 051-1241-12L, 3KP)
Einführung: Dienstag, 18. September 2012, 10.00 im Atelier Gisel
Diskussionsveranstaltung: Discuors Adula I, Donnerstag, 6. Dezember 2012, 18.00 im Atelier Gisel, PDF

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