Raum für die Gemeinschaft
Auf der Suche nach einem Typus
Selbst wenn die gegenwärtige Realität ein etwas anderes Bild kommuniziert, spüren wir in unserem Unterbewusstsein, dass die in der Renaissance eingeleitete Zeit der maximalen Entfaltung des freien Individuums uns nicht mehr wohl stimmt.
Den bedeutenden Errungenschaften dieser Epoche stehen nämlich in der Folgezeit Stereotypen gegenüber, die von Reduziertheit in den Zugangsweisen und vom Herauslösen des Individuums aus seinem Zusammenhang mit der Welt geprägt sind. Nach mehrmaligen Verschärfungen dieser Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert suchen wir jetzt für unsere Verortung wieder nach Ganzheiten, nach der Verbindlichkeit von Raum und Zeit und den daraus entspringenden Identitäten. Und das nicht zuletzt in der Architektur.
In der Architektur liegt der Lösungsansatz bei einem steigenden Interesse für den besonderen Kontext.
Die Beschäftigung mit dem Lokalen muss dabei nicht als Geringschätzung der globalen Aspekte oder als Autonomie der Architektur verstanden werden. Ganz im Gegenteil! Wir sind überzeugt, dass die Welt aus der lokalen Kraft heraus erobert werden kann. Im Bereich des Lokalen, mit seinem Raum für ständige Wechselbeziehungen und unausweichlichen Widerstreit, kann sich das Individuum zu einem selbstbewussten Individuum formen, das in der Lage ist, kraftvoll auch mit der außerhalb des Lokalen liegenden Welt in einen Dialog zu treten. Nur zwischen eigenständigen Subjekten ist ein kreativer Dialog möglich. Und in der Auseinandersetzung mit dem jeweils besonderen Kontext bewahrt dieser vor Architekturmoden.
Für das Bauen im Kontext stellt sich innerhalb der freiwilligen Bindung an die bereits vorhandenen Gegebenheiten des Ortes immer auch die Frage nach der Veränderung und der Entwicklung von neuen Bautypen. Topos und Typus waren und sind noch immer die Urquellen der Architekturform.
Im Semester machen wir uns auf die Suche nach einem besonderen Bautyp. Wir entwickeln einen Raum für die Gemeinschaft. Aus der möglichst idealen Geometrie, aus der räumlichen Präsenz und aus der Beziehung und dem Widerstreit zwischen Funktion und Form soll ein Raum entwickelt werden, der fähig ist, Gemeinschaftssinn zu generieren. Mit Raum meinen wir ein Haus oder ein Gefäß, bei dem die Qualität „Raum“ absolut im Zentrum steht
Das Interesse an dieser Untersuchung ist, nebst der architektonischen Entwurfskultur, auch auf gesellschaftspolitische und sozio-ökonomische Fragen gerichtet. Die Architektur wird dabei zu ihrem höchstmöglichen Beitrag für das konkrete Leben herausgefordert.
Die Entwurfsorte sind kleine Bergdörfer oder ausgewählte räumliche Kontexte in schwach belebten Ortschaften an der Peripherie der Schweiz. Der zu entwerfende Bautyp soll die sozialen Beziehungen im Innern dieser Kontexte festigen und zugleich ein Gefäß sein, um solche zwischen den Zentren und der Peripherie zu ermöglichen. In vermehrten Beziehungen und aus dem daraus wachsenden Verständnis für die Unterschiede zwischen diesem scheinbar ungleichen Paar liegt die Aussicht auf eine höhere Lebensqualität für alle.
Beim Entwerfen werden wir Anknüpfungen suchen bei der „ökologischen Naturästhetik“ von Gernot Böhme. Diese geht von der Erkenntnis aus, dass der Mensch nicht nur ein Vernunftwesen, sondern auch ein leibliches Wesen ist. Es geht um eine veränderte Beziehung zwischen dem Menschen und der ihn unmittelbar umgebenden Natur – und in dieser Hinsicht um ein Mehr des architektonischen Ausdrucks.
„Also unterließ ich es nirgends, alles zu durchwühlen, anzusehen, auszumessen, in zeichnerischen Aufnahmen zu sammeln, um alles, was man Geist- und Kunstvolles geleistet hatte, von Grund auf zu erfassen und kennenzulernen. Auf diese Art erleichterte ich mir die Arbeit beim Niederschreiben durch Eifer und Vergnügen am Lernen. Und in der Tat, so vielerlei Sachen, so ungleiche und so zerstreute, so von Gebrauch und Kenntnis der Schriftsteller verschiedene in eins zu sammeln und auf würdige Weise zu prüfen, in richtiger Folge zu ordnen, in wohlgesetzter Rede zu behandeln und in bestimmter Absicht zu erläutern, das ist wohl Sache einer größeren Bildung und Erziehung als ich sie besitze.“
Leon Battista Alberti
Arbeitsort: Atelier Gisel, Streulistrasse 74a, 8032 Zürich
Assistent: Thomas Stettler
Anzahl Studierende : 8
Aufgabentyp: O/I/P
Einführung : Dienstag, 19. Februar, 10 00, Atelier Gisel
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